Kultur des Schweigens an der Universität: Prof. Dr. Ilse Schimpf-Herken (vor 1997)

Artikel in der Zeitschrift für befreiende Pädagogik  der Paulo Freire Gesellschaft damals München

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Kultur des Schweigens an der Universität

Die in diesen Monaten so viel beschworene Krise der Universität ist nur zu verstehen, wenn wir sie in einen globaleren gesellschaftlichen Zusammenhang stellen. Nicht erst, seit gespart werden soll, gibt es Nachdenkenswertes über die Universität zu sagen. 

Angesichts des irreversiblen Wandels in der Weltwirtschaft, der mit den Schlagworten der Globalisierung und Entgrenzung, der Tertialisierung und Fragmentierung gekennzeichnet wird, ist eine Neu­bestimmung der Bedeutung der universitären Bildung immer vordringlicher geworden. 

Bildung war und ist stets Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und ist somit eine Schnittstelle von sozio-kulturell Tradiertem und Neuem, von ethnozentrischen Normen und globalen Anforderungen, von individuell begründeten Freiheitsrechten und den der Erhaltung des Gemeinwohls gestundeten Solidaritäten.

Seit der Begründung der neoklassischen Universitäten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Wilhelm von Humboldt die Autonomie der Universität und die Komplementarität von Lehren und Lernen, von Forschung und Lehre postulierte, hat sich eine Entwicklung zugunsten der beruflichen Qualifizierung und Fragmentierung in Einzelwissenschaften durchgesetzt. 

Dieses führte unter anderem dazu, dass das Spezialistentum in den Einzelwissenschaften, der Konkurrenzdruck untereinander und die Drittmittelabhängigkeit der Forschung zugenommen haben und es zu vielfältigen Abhängigkeiten im Spannungsfeld von Wirtschaft und Politik gekommen ist. 

Hierdurch läuft die Universität Gefahr, zu einem Ort hoher Professionalität zu werden, bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Marginalisierung. Eine Standortbestimmung der Verant­wortung universitärer Bildung ist heute mehr als überfällig.

Wo die Freude an der Begegnung mit jungen Menschen und die Suche nach Neuem die Lehre und Forschung bestimmen sollte, lähmt ein Hang zur "Selbstbezüglichkeit" (M. Weber) und Eitelkeit große Bereiche der universitären Wissenschaft. 

Anstatt wahrhaftige Dialoge zwischen Lehrenden und Lernenden zu ermöglichen, inszenieren einzelne ihr Bedürfnis nach persönlicher Bedeutsamkeit. Veranstaltungen treten an die Stelle von Verantwortung. 

Massenveranstaltungen und überfüllte Seminare lassen kaum noch vertiefende Auseinandersetzungen zwischen StudentInnen und DozentInnen zu. Individuelle Beratung und Sprechzeiten sind eine Seltenheit. 

Gab es vor 25 Jahren einen studentischen Protest gegen die althergebrachten Autoritäten in Talaren, so haben sich heute neue Hierarchien über die Unerreichbarkeit von ProfessorInnen etabliert. Monologe der Dozierenden und das Schweigen der Studierenden sind die Folge.

Über diese „Kultur des Schweigens“ (Paulo Freire) und ihre Konsequenzen für das Selbstverständnis der Rolle der Intellektuellen und ihrer sozialen Verantwortung möchte ich im Folgenden sprechen. 

Es ist meine These, dass Sparen im Bildungsbereich nicht nur einer Dequalifizierung und Abwertung der denkenden, planenden Berufe impliziert, sondern eine demokratische, verantwortungsethische Wissenschaftskultur zerstört. 

Sie zerschlägt die Voraussetzung für interdisziplinäre Verständigung und die kritische Selbstreflexion des eigenen dominanzkulturellen Eurozentrismus. Es gibt zwar das Sprichwort "Not macht erfinderisch", das in der Vergangenheit in Einzelfällen auch zutraf. 

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass in den hochkomplexen modernen Gesellschaften die not-ab-wendenden Selbsthilfeprojekte­ in den meisten Fällen eher eine sozialpolitische Funktionen erfüllen, als dass sie dem brutalen Verdrängungswettbewerb neoliberaler Entwicklung real etwas entgegenzusetzen hätten.

In dem nun folgenden Beitrag möchte ich mich zunächst mit der Kultur des Schweigens an der Universität auseinandersetzen, um anschließend eine Diskussion anzuregen über die Notwendigkeit des Trialogs zwischen den verstummten Einzelwissenschaften, und hier besonders zwischen den Gesellschafts- und Technikwissenschaften.

Die Methode des Trialogs, dies nur zur kurzen Erläuterung, habe ich auf der Weltfrauenkonferenz in Peking kennengelernt, wo palästinensische und israelische Frauen über alle Verwundungen und Differenzen hinweg miteinander kommunizierten, indem sie "Dritte" in ihre Gesprächsrunde baten, die zwar gute Kennerinnen des Nahen Osten waren, aber durch andere Kriterien und Perspektiven, bzw. durch überparteiliche Sichtweisen die unterbrochene Kommunikation wieder ermöglichten.

Vom (Ver-)Schweigen in internationalen Zuammenhängen

Angesichts von sich beschleunigenden Globalisierungsprozessen, der Auflösung der zwei großen politischen Blöcke und der damit einhergehenden rasanten Durchsetzung des neoliberalen Wirtschafts- und Konsummodells stellt sich heute die Frage nach Bildung neu. 

Es ist offensichtlich inadäquat, im herkömmlichen Wissenschaftsverständnis der Disziplinen zu verharren und weiterhin nach eigenen eurozentrischen Modellen die Lehre und Forschung zu gestalten. Die Wirkungen unseres Technik- und Natur­verständnisses zeigen heute deutlicher als zuvor, dass Linearität und Fortschrittsdenken den Blick für Zusammenhänge, verantwortungsethische Überlegungen und Nachhaltigkeit trüben. 

Das Ressourcen-fressende Marktmodell ist nicht mehr finanzierbar, wie die Rekordverschuldungen in aller Welt zeigen. Aber anstatt Einhalt zu gebieten, um Perspektivenwechsel und interdisziplinäre Kooperationen zwischen unterschiedlichen Gesellschaften und Wissenssystemen zu ermöglichen, beschleunigen sich die Akkumulations­prozesse, der Tauschwert hat sich vom Gebrauchswert abgelöst, oder wie Elmar Altvater dies bildhaft ausdrückte "Siemens sei eine Großbank mit angeschlossener kleiner Elektroabteilung".

Neue internationale Finanzinstrumente haben zu einer regelrechten Verselb­ständigung der Finanzwelt von der Warenwelt geführt. Nicht mehr der Warenhandel, sondern der Handel mit Dienstleistungen, beispielsweise Telekommunikation und Tourismus expandiert. 

Die jährliche Summe dieser Finanzderivate in Höhe von 20.000 bis 30.000 Milliarden US-Dollar übersteigt inzwischen sogar die Höhe der jährlichen Weltproduktion! Die Nationalstaaten sind ökonomisch nicht mehr souverän, ihre PolitikerInnen sind immer erpreßbarer. 

In diesem Verdrängungswettbewerb verlieren soziale, inter­kulturelle und politische Gesichtspunkte an Bedeutung. Ohne diese Zusammenhänge und ihre Funktionsweise im Weltmaßstab mitzubedenken und ihre Auswirkungen für die Zukunft im Kontext universitärer Bildung zu reflektieren, geben wir, ohne dass wir uns dies vielleicht eingestehen, das „Prinzip Verantwortung“ (Hans Jonas) auf, lösen den Generationenvertrag und werden selber zu Monaden.

Haben wir bisher mit einem starken Vergangenheitsbezug lineare Denkmodelle zur Bewältigung der Gegenwart entwickelt, so lähmt heute die Macht des Faktischen immer mehr das Handeln. 

Die Modelle der Vergangenheit bestimmen die Gegenwart und lassen der Ahnung des Zukünftigen kaum Raum. Die Sensibilität der "neuen Musen" (J. Beuys) der Umweltbewegungen, der Anti-Atombewegungen, die herrschaftskritischen Ansätze der Frauen­bewegung, sie alle vermitteln einen Hauch von menschlicher Bezogenheit, die sich schon fast ihre Zukunft träumen müssen, weil sie gegenwärtig in der "4. Gewalt" (J. Link) der Massenmedien als "kriminell", "irrsinnig" oder "demokratie­feindlich" stigmatisiert werden. 

Zukunftsvisionen erscheinen in der öffentlichen Meinung als Bedrohung, die "Risikogesellschaft" (U.Beck) führt tendenziell zu einer Aufhebung persönlicher Verantwortlichkeit, die in der Folge zu einer "Täterentlastung" führt (Rommelspacher). 

Niemand ist mehr verantwortlich, `anything goes´. Der einzelne Mensch steht den globalen Entwicklungen scheinbar hilflos und ohnmächtig gegenüber. Sein Horizont verengt sich auf eine Scheinwelt, die ihm über die Konsumgesellschaft angeboten wird. Selbstbezüglichkeit und Egozentrik sind die Folge. Protest oder Widerstand erlahmen zunehmend. Ein Mantel des Schweigens breitet sich über den Individuen in ihrem "global village" aus.

Universitäre Bildung, will sie denn einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und sozialen Gerechtigkeit leisten, muss sich ganz zentral mit diesem Schweigen auseinandersetzen. Bisher hat eine regionalistische bzw. nationalistische Perspektive die Ausbeutung des Südens und die Deklassierung seiner Menschen verschleiert. 

Das Wissen über Verletzung von Menschenrechten wurde verschwiegen. Das Kapital ist dort hingegangen, wo die Arbeitskraft zu niedrigeren Preisen als in den Industrienationen zu kaufen war ... und die Gesellschaften im Norden haben verschwiegen, mit welcher diktatorischen, staatlichen Komplizenschaft die Weltmarktorientierung in den Ländern des Südens durchgesetzt wurde. Heute, da selbst die Dienstleistungsbereiche unabhängig vom Standort sind, vervollständigt sich die Globalisierung. Banken und große Krankenkassen verlagern die arbeitsintensive Dateneingabe nach Shanghai. Morgens kommen die Postsäcke mit den Buchungsbelegen, abends werden die Daten per Satellit zurückgespielt ... und die Gesellschaften im Norden verschweigen, unter welchen Arbeits- und Lebensbedingungen die ArbeiterInnen diese Tätigkeiten leisten.

Erst seit die "Tiger"-Staaten, Singapur, Korea, Malaysia und andere mit ihren konkurrenzfähigen Produkten den Weltmarkt beliefern, beunruhigt sich der Norden, und die "4. Gewalt" spricht von der Bedrohung der Ökonomien und der bestehenden Ordnung. Die von der 1. Welt noch nie verwirklichten Menschrechte werden zur Konditionalität für die Kreditvergabe an den Süden. Auch weiterhin bedeckt der Mantel des Schweigens die internationalen Wirtschaftskonferenzen, weil die Voraussetzung für die Bereitschaft des Dialogs das Zuhören der jeweils anderen Seite bedeuten würde, und Zuhöhren impliziert bereits die Anerkennung der Existenz anderer Gesichtspunkte.

Durch die Globalisierung ist das Verschweigen der Zusammenhänge als Methode der Verschleierung eines Ungerechtigkeitssystem offenkundig geworden. Die soziale Schere geht jedoch nicht nur zwischen dem Norden und dem Süden immer weiter auf, auch in den reichen Ländern selber gibt es inzwischen eine "Dritte Welt", und man muß sich schon heute fragen, wie viel Ungleichheit eine Demokratie verkraften kann. Bisher hat das Verschweigen und die impliziten Gewaltverhältnisse zu Gehorsam und Anpassung geführt. Das Schweigen hat Anerkennung versagt, hat Existenzen negiert und schafft die Voraussetzung für Verdrängung und Vergessen. Das Schweigen zerstört die Erinnerung und schafft immer mehr unbelebte Räume, in denen sich die Menschen nicht mehr heimisch fühlen. Sie werden atomisiert und hierdurch manipulierbar oder, wie Paulo Freire sagt, zu "politischen Analphabeten". Immer weniger können die Individuen den heute so notwendigen Weltbezug herstellen. Mit dieser Kultur des Schweigens, wie sie auch die Universität produziert und reproduziert, möchte ich mich zunächst beschäftigen.

 

Annette Nana HeidhuesIlse Schimpf-HerkenMarianna Schmidt Quintero

Begegnung verändert Gesellschaft

Ansätze einer von Paulo Freire inspirierten Bildungspraxis – ab Februar lieferbar

 

Die Kultur des Schweigens im Bildungssystem

Schule und Universität sind staatliche Institutionen, die traditionell einen unterschiedlichen Bildungsauftrag hatten, sich jedoch heute zunehmend angeglichen haben. Während in der Schule das zu erlernende Wissen bereits weitgehend vom Lehrer gewusst wurde, sollte an der Universität durch forschendes Lernen das Wissen zwischen StudentInnen und ProfessorIn neu geschaffen werden. 

Dieses auf Kooperation angelegte, grundsätzlich egalitäre Ergänzungsverhältnis war jedoch unvereinbar mit der hierarchischen Struktur universitärer Institution und ist nie verwirklicht worden. Ein ähnliches Schicksal erfuhr die Oberstufenreform an den Schulen, wo zwar Freiräume für das forschende Lernen möglich wurden ... diese Entwicklung jedoch alsbald an die Grenzen institutionalisierter Sozialisationsmuster stieß. 

So werden die Kinder auch heute noch in der Schule mehrheitlich im klassischen Frontalunterricht zum Schweigen verdammt, sie lernen zuzuhören, stillzusitzen und aufzunehmen, was der Lehrer sagt. Die Vermittlung von Fachwissen tritt hierbei oftmals in den Hintergrund. Für die kritische Selbstreflexion, geschweige denn ein Denken in Ambivalenz ist kaum Zeit vorgesehen.

Unser Bildungsverständnis reproduziert nach wie vor einen aufklärerischen Anspruch. Hierbei ist die Lehrerrolle eine belehrende, die Rolle des/r Studierenden als eine lernende festgeschrieben, der Lehrer spricht, die Lernenden hören zu, der Lehrer ist im Besitz des Wissens, die Schüler sind passive Rezipienten. 

Wenn man diese Dichotomien zu Ende denkt, entsteht ein Bild, das Hierarchien errichtet und das Erlangen von Wissen zu einem erstrebenswerten Ziel macht. Wenig Wissen ist wenig Wert, viel Wissen ist viel Wert. Über Bildungseinlagen (Freire) werden die Menschen wohlhabend, sie werden zum Maß gesellschaftlicher Entwicklung und Privilegien. 

Erst an der Universität, in meiner 6-jährigen Auseinandersetzung mit den KollegInnen und ihrem Privilegien-Denken ist mir dieser Zusammenhang ganz deutlich geworden. Berufsbeamtentum und die wachsende Fragmentierung in Teil­disziplinen sind kontraproduktiv für eine gesellschafts-bezogene Wissenschafts­entwicklung. 

Eine Wissenschaft, die sich auf höhere Einsicht oder Weisheit beruft, hat bereits die Solidarität mit denen aufgekündigt, die sie beurteilt. Wir, die WissenschaftlerInnen, sind Teil der gesellschaftlichen Veränderungen, unsere Wahrnehmung wird durch den Kontext geprägt, Lehre und Forschung sind somit Ausdruck des Zeitgeistes und der gesellschaftlichen Machtverhältnisse.Wissenschaft ist nicht neutral, weil sie von Menschen gemacht wird, wir sind Teil von ihr!

Ohne dass wir uns dessen bewusst geworden wären, sind wir jedoch von Klein auf im "hidden curriculum" (I.Illich) durch eine Sozialisation zur Anpassung und zum Gehorsam konditioniert worden, die unsere Wahrnehmungsfähigkeit in

a) - unseren Umgang mit der partikularisierten Wissenschaft,

b) - mit der hierarchisch konzipierten Lehre und

c) - der Universität als staatlichen Institution prägen.

Diese drei Ebenen,die ich im Folgenden genauer untersuchen möchte, treten nicht unabhängig von einander auf und können nicht isoliert betrachtet werden. Nur in ihrer Wechselwirkung wird das Hierarchisierungs- und Ausschlussgeflecht transparent, das die Universitäten heute noch immer zu einer der Hochburgen des geistigen und `politischen Analphabetismus´ (P. Freire) machen.

ad 1. : Umgang mit dem partikularisierten Wissenschaftssystem

Um unseren Umgang mit der universitären Wissenschaft zu verstehen, müssen wir zunächst deren Organisationsform begreifen. Hier wird es zunächst verwundern, dass sich erst in den letzten zweihundert Jahren die Auflösung der vier großen klassischen Fakultäten, - Medizin, Theologie, Jurisprudenz , `Freie Künste´ - in die zahlreichen Einzelwissenschaften vollzogen hat. 

Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts war es üblich, dass die Studierenden nicht nur an einer Fakultät studierten, sondern einem humanistischen Bildungsverständnis frönten, das fakultätsübergreifend war. Die Naturwissenschaftler belegten beispielsweise auch Philosophie, die Theologen auch die Schönen Künste, usw. 

Erst mit den Neugründungen der Universitäten nach dem 2. Weltkrieg und hier ganz besonders verstärkt nach der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre, kam es zu einer rapiden Ausdifferenzierung in Einzelwissenschaften, die heute unsere Universitäten kennzeichnen. 

So war es gerade ein Ziel der 68er-Studienreform, die Dominanz der Lehrstühle und ihrer Inhaber zugunsten von mehr pluralistischen Angeboten zu verändern. Der Mittelbau sowie Tutorienprogramme sollten darüber hinaus die Hierarchien abbauen helfen, was beides nur in geringem Umfang erfolgreich war. 

Betrachtet man nämlich heute die Fachbereiche, dann wird sehr schnell deutlich, dass die Reformen zwar zu einer großen Auffächerung der Wissensgebiete geführt haben, diese jedoch nicht miteinander kommunizieren. 

Im Gegenteil, es entsteht häufig der Eindruck, das jeder Lehrstuhlinhaber sein Terrain mit "seinen" wissenschaftlichen Mitarbeitern und Tutoren absteckt und diese Domaine verteidigt. Macht- und Besitzstandswahrung lähmen die Kommunikation zwischen den Disziplinen und verhindern die gegenseitige Anerkennung und Bestärkung.

Die Aufsplitterung in Teil- bzw. Spezialwissenschaften wird noch durch ein weit verbreitetes positivistisches Wissenschaftsverständnis gefördert, in dem entsprechend der Einzelwissenschaften geschlossene Systeme und Methoden geschaffen werden, die der Überprüfbarkeit der Forschungsergebnisse dienen sollen. Hierdurch entstehen künstliche Welten, deren eigentliche Dynamik und herrschaftskritische Kontextualisierung verhindert werden. 

Die Quantifizierung sowie die empirischen Forschungsansätze erhalten in diesem System zunehmend eine größere Bedeutung, was letztlich auch zu deren Siegeszug in der Wissenschaft geführt hat. 

Welche Folgewirkungen das Verschweigen von sozio-kulturellen, biographischen oder zeitlich bedingten Faktoren hat, bleibt weitgehend unberücksichtigt, wenn nicht gar diese Zusammenhänge zugunsten der Ergebnisorientiertheit und dem Streben nach Eindeutigkeit verloren gehen bzw. unsichtbar gemacht werden. 

Ein positivistisch begründetes Wissenschaftsverständnis bringt sich selber in Sicherheit. Selbstreflexive Ansätze oder prozessorientierte Handlungsforschungs-ansätze sind in der universitären Forschungslandschaft der Einzelwissenschaften deshalb immer noch die Ausnahme. Ihre weitgehende Nichtbeachtung ist der klaren Grenzziehung bzw. der Ausweitung der Teilwissenschaften gestundet.

Die Folgen hiervon sind Leistungs- und Konkurrenzprobleme der Disziplinen untereinander, angespannte Kommunikationsformen bis zum Verschwinden jeglichen Austausches überhaupt. 

So geht die Freude über den Erkenntnisgewinn, die gegenseitige Anerkennung und Inspiration verloren, was jeglicher Motivation und Interaktion mit den StudentInnen entgegensteht. Folglich verhalten sich viele StudentInnen im Umgang mit ihren DozentInnen konsumtiv. 

Sie sind zwar lernwillig, aber gleichzeitig unkritisch gegenüber den Kontexten, in denen dieses Wissen entsteht, reproduziert und gedeutet wird. 

Die Lehrinhalte erhalten doktrinären Charakter, die Wissenschaft eine beinah religiöse Bedeutung. Das scheinbar in sich geschlossene Wissenschafts­system wird für den Lernenden zu einem Über-Ich, nach dem sein ganzes Sehnen strebt. 

Je mehr der/die Einzelne davon gelernt hat und reproduzieren kann, desto mehr steigt er/sie in der universitären Hierarchie auf. Leistungsprüfungen, Regelstudienzeiten und Zensuren sind folglich weniger Messinstrumente, den kompetenten Umgang mit der Wissenschaft zu attestieren, als vielmehr Ausdruck von Wissenschaftsgläubigkeit.

ad b) hierarchisch geprägte Lehre

Der so beschriebene autoritätshörige Umgang mit Wissenschaft wird gefördert und ist meiner Meinung nach erst möglich, wenn der Rahmen, in dem die Wissenschaft vermittelt wird, streng hierarchisch strukturiert ist. 

Nur wenn den Lernenden ausreichend Respekt gegenüber den unantastbaren Weihen universitärer Lehre eingeflößt wurde und wenn das Bildungsziel mit einer akademischen Laufbahn identisch wird, kommt es zu einer weitgehenden Reduzierung des emanzipatorischen Charakters, der theoretisch jedem Erziehungsprozess innewohnt. 

Je weniger also heute in der Massenuniversität die DozentInnen für die Studierenden erreichbar werden, sei es, weil die ProfessorInnen sich nur in Vorlesungen mit Hunderten von ZuhörerInnen den StudentInnen darbieten oder weil der Zeittakt der 15-minütigen Sprechstunden keine Rahmenbedingungen für eine vertiefende Auseinandersetzung bieten, um so mehr steigert sich implizit ihre Bedeutung.

Als ich nach 15-jähriger Unterbrechung vor 6 Jahren an die Universität zurückkehrte und die Angst vieler StudentInnen vor der Kommunikation mit "ihren" ProfessorInnen beobachtete, wurde ich unwillkürlich an vorkoloniale Verhältnisse in Mexiko erinnert. 

Dort erhielt nämlich der spanische Eroberer Cortez auf seine Frage nach der Beziehung der Azteken zu ihrem Führer Moktezuma die Antwort, daß kein Untertan ihn je angesprochen, noch ihn zu Gesicht bekommen habe, weil man in seiner Anwesenheit den Blick zu senken und zu schweigen hätte. Welch eindrückliches historisches Beispiel, wie Autorität hergestellt wird.

Die Form der inneren Unterwerfung durch Hierarchisierungsprozesse hat ihre Rückwirkungen nicht nur auf die Rezeption der Lehrinhalte selber, sie wird zudem noch reproduziert durch die wissenschaftliche Setzung der Neutralität von Wissenschaft. 

Indem über Kategorienbildung und Verallgemeinerungen die Subjektivität der Forschungsfrage und methodengeleitete Forschungs­interessen intransparent gemacht werden, kommt es zur scheinbaren Trennung von wissenschaftlichem Inhalt und dem Vortragenden. 

Hierdurch erhält das Wissen eine scheinbare Geschlossenheit in sich selber, das in keinem erkennbaren Zusammenhang zum Vortragenden steht. Nicht nur das Wissen wird so unantastbar, auch der Vortragende, was implizit auch sein Prestige erhöht, das mit dem Berufsstand des Professors einhergeht. Habermas hat bereits auf diesen Zusammenhang hingewiesen :

"Die Naturwissenschaften büßten ihre Weltbildfunktion zugunsten der Erzeugung technisch verwertbaren Wissens ein. Die Arbeitsbedingungen der institutsförmig organisierten Forschung waren weniger auf Funktionen allgemeiner Bildung, als auf die funktionalen Imperative von Wirtschaft und Verwaltung zugeschnitten. 

Schließlich diente die akademische Bildung in Deutschland der sozialen Abgrenzung einer am Modell des höheren Beamten orientierten bildungsbürgerlichen Schicht. Je stärker diese gegenläufigen Entwicklung zu Bewusstsein kamen, um so mehr musste die Idee der Universität gegen die Tatsachen behauptet werden - sie verkam zur Ideologie eines Berufsstandes mit hohem Prestige." (Habermas 1986, S. 710)

Nun könnte man meinen, dass heute über studentische Tutorien und Übungen durch wissenschaftliche MitarbeiterInnen diese Hierarchisierungen weitgehend abgebaut seien. In zweifacher Hinsicht ist diese Entwicklung jedoch nicht eingetreten :

- zum einen gibt es nur in den seltensten Fällen verbindende inhaltlich-kritische Auseinandersetzung zwischen den drei Lehrformen Vorlesung, Übung und Tutorium, so dass über die aufrecht gehaltene Trennung die Aufwertung / Hierarchisierung erhalten bleibt;

- zum anderen werden gerade in den letzten Jahren angesichts wachsender Sparzwänge die Stellen für den Mittelbau und die studentischen Tutorien gestrichen, so dass inzwischen auch diese Veranstaltungen den Charakter von Massenereignissen haben.

Dies hat bereits jetzt schon zu einer tendenziellen Rückkehr zur Ordinarien-Universität geführt, die die LehrstuhlinhaberInnen mit so vielen Sonderprivilegien ausstattet, dass eine dialogische Situation kaum entsteht.

ad c) die Universität als staatliche Institution

Wie insbesondere der `politische Analphabetismus´ auf die Ausblendung der institutionellen Rahmenbedingung universitärer Lehre zutrifft, wurde jetzt im Rahmen der kürzlich stattfindenden Aktionswochen an der Technischen Universität deutlich. 

Auf der einen Seite war es sehr beglückend und befreiend, wie spontan und kreativ die unterschiedlichsten Seminarformen überall in der Stadt entwickelt wurden, von "Radunski"-Radieschen, die als Diskussionsangebot verteilt wurden, oder die Inszenierung eines ägyptischen Trauerituals, bei dem sich die StudentInnen "die Haare rauften, sich mit Asche bewarfen und die Kleidung zerrissen" wurde in allen Teilen Berlins eine Öffentlichkeit zur Sparpolitik in der Universität hergestellt. 

Bei diesen wunderbaren Selbstinszenierungen kam die inhaltliche Auseinandersetzung um die Bedeutung der Sparzwänge und möglicher Alternativen jedoch häufig zu kurz.

Als Seminarleiterin war ich viele Male damit konfrontiert, dass die StudentInnen Aktionen forderten, aber größere strukturelle Zusammenhänge nicht hergestellt wurden. 

So erschien es als kaum überwindbare Hürde, einen Dialog mit den ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen herzustellen, damit diese sich potentiell für den Erhalt der sozialwissenschaftlichen und sozialpädagogischen Studiengänge einsetzen würden. Allzu groß erschien die Distanz und die jeweiligen Vorurteile zwischen Technik- und Gesellschaftswissenschaften. 

Ebenso tabuisiert war es, die bildungspolitischen Folgen für die Technische Universität zu diskutieren, wenn die interdisziplinären Reformstudiengänge wie Sozialpädagogik oder auch der feministische Studienschwerpunkt eingestellt würden. 

Was auf der Planungsebene im Senat mit einem Federstrich vollzogen wird, um die Mehrheitsverhältnisse an der Technischen Universität zugunsten der konservativen Professorenmehrheit zu verändern, war in der Verstrickung der einzelnen Studierenden kaum darzustellen. Bei aller Bemühung seitens vieler KollegInnen, eine kritische fachbezogene Lehre zu machen, war der Blick auf die institutionellen Rahmenbedingungen verstellt geblieben.

Auch überraschte in der Planung von Aktionen immer wieder die völlige Unkenntnis hinsichtlich der studentischen Mitbestimmungsgremien und Kompetenzen. 

Offensichtlich ist in den Jahren des Wohlstands eine Konsumentenmentalität entstanden, die sich der eigenen Verantwortung im hochschulpolitischen Sinne gar nicht bewusst geworden ist. Studieren wird offensichtlich als Lernen von Fachwissen verstanden, auf das jeder Studierende per se ein Anrecht hat. 

In welcher Weise dieses Wissen vermittelt, im Kontext von welchem Wissenschaftsverständnis reflektiert und auf seine gesellschaftliche Relevanz hin überprüft wird, hierfür gab es offensichtlich im Lehrverständnis der DozentInnen wenig Raum. 

Der Umgang mit den universitären Strukturen, das Durchschauen der Entscheidungs­gremien und der Lobbygruppierungen: Dies sind jedoch weit über den Hochschulrahmen hinaus notwendige Kompetenzen, die zentral für das Selbstverständnis der eigenen Profession sind, ... oder wie sonst könnte der politische Charakter von Wissenschaftsentwicklung durchschaut werden? 

Aber vielleicht sagt das Schweigen, das Verschweigen, auch schon sehr viel über die Institution Universität aus!

Diskutieren wir die Kultur des Schweigens hinsichtlich der Wissenschafts­kultur, der hierarchischen Lehre und der universitären Institutionalisierungs­prozesse im Zusammenhang, dann wird deutlich, dass es offensichtlich in der Massen-Universität zu einer starken Fragmentierung und Vereinzelung gekommen ist, die ein gemeinsames Erkennen der zugrundeliegenden Strukturen verhindert. 

Indem jedoch die Auseinandersetzung mit Wissenschaft von ihren Relevanz-Systemen getrennt stattfindet und keine kommunikative Rückkopplung hinsichtlich der Aktualisierung der Bedeutung dieses Wissens stattfindet, wird auch der institutionelle Rahmen unkritisch übernommen. 

Er bekommt eine übermächtige Bedeutung, in ihm wird der Mensch zunehmend klein. Es scheint, als wäre die Universität nicht für die Menschen da. Die studentische Vielfalt, ihre Subjektivität, zumal, wenn sie vom weiblichen Geschlecht ausgehen, erscheinen als Störfaktor. 

So berichtete eine Elektrotechnik-Studentin kürzlich, wie sie von einem Professor angefahren wurde, weil sie wie auch die männlichen Kommilitonen vor der Vorlesung um die Aushändigung eines Skriptes bat. 

"Wofür brauchen sie das denn!" wurde sie zurückgewiesen und von oben bis unten taxiert. An diesem Tag trug sie zufällig hochhackige Schuhe und einen Minirock.

Auch ich habe natürlich keine Lösung, die den vielfältigen Einschüchterungen und Diskriminierungsformen der Universität etwas entgegensetzen würde, - zumal auch ich selber von den sogenannten Sachzwängen und dem Rollenverständnis einer Lehrenden infiziert bin. 

Wie selten habe ich es selber geschafft, den engen universitären Rahmen mit den StudentInnen zu verlassen, um andere Lernerfahrungen zu ermöglichen, die dem Erkenntnis­interesse der Lernenden einen viel größeren Raum geben würde. 

Trotzdem möchte ich von solch einer positiven Lehr-Lern-Erfahrung im Folgenden berichten, die ich im Zusammenhang eines 4-semestrigen Methodenseminars feministischer Sozialforschung gemacht habe.

Das andere Seminar - Biographieforschung mit Frauen

In dem feministischen Forschungsverständnis, das dem hier beschriebenen Seminar zugrunde liegt, wird versucht, durch eine "Forschung von unten" das Wahrnehmen und Sichtbarmachen von Differenz zu entwickeln, und zwar in einem Prozess, in dem die Andersartigkeit als Teil des Eigenen wahrgenommen werden kann. 

Forschen bedeutet in diesem Sinne, seinen eigenen Erkenntnisprozess in Beziehung zu der Forschungsthematik zu setzen und die eigene Biographie im Spannungsfeld von Individualität und gesellschaftlicher Verallgemeinerung zu sehen. 

Indem das Verhältnis Forscherin / Erforschte immer neu gedacht und in seinen vielfältigen Hierarchisierungsmechanismen tendenziell aufgehoben wird, entsteht die Erkenntnis, dass beide Seiten eine Beziehung eingehen und hierdurch Veränderungen durchmachen. Indem wir unsere Grenzen erfahren, haben wir sie bereits überschritten.

Bereits mit Seminarbeginn im ersten Semester, wenn es um die theoretische Erarbeitung von soziologisch-feministischen Fragestellungen geht, soll der existentielle Einbezug einer jeden Teilnehmerin in das Seminargeschehen praktisch vollzogen werden. 

Dieser Klärungsprozess läuft individuell ganz unterschiedlich ab. In dieser Phase ist die Rolle der Seminarleiterin noch zentral, weil sie nicht nur die Inhalte im Blick hat, sondern die Lernprozesse durch Kleingruppenarbeit unterstützen, in Einzelgesprächen Wahrnehmungen vertiefen oder helfen kann, Ängste abzubauen. 

Ihre orientierende Rolle wird gleichzeitig jedoch dadurch relativiert, daß stets StudentInnengruppen die Verantwortung für die Gestaltung der Sitzung haben. Der Methodenvielfalt sind keine Grenzen gesetzt.

Das Bemühen, Verstehen nicht als grenzenloses Nach-außen-Streben, sondern als selbstreflexiven Prozess nach innen zu denken, ist substantiell für eine patriarchatskritische Forschung. Sie ist notwendige Voraussetzung, die Differenz erfahren zu können, ohne sie in die vertrauten eigenen Kategorien zu übersetzen.

"...eine Kultur, die am Bewusstsein ihrer selbst ein geringes Interesse hat, etwa unsere eigene, meist eine ist, die sich die Wildnis unterwirft, indem sie sie kultiviert. 

Es nimmt nicht Wunder, dass in einer derartigen Kultur das Verstehen dessen, was nicht zu ihr gehört, meist auch den Charakter der Aneignung durch Unterwerfung oder aber der eigenen Abwehr annimmt ...

Was immer es wirklich gibt, sagen also diese Wissenschaftler, muss unsere Tests überstehen. `Unsere Tests überstehen´ bedeutet : es muss sich ein Äquivalent in unserer Kultur finden lassen." (Duerr 1978, S. 152/154)

In der herkömmlichen sozialwissenschaftlichen Erhebung wird das Forschungsobjekt eingegrenzt, definiert, "entfremdet" und hierdurch heimisch gemacht. 

Erst, wenn das Fremde auf diese Weise kontrolliert ist, kann es assimiliert oder abgewehrt werden. Die Beziehung zum Forschungsobjekt ist traditionell hierarchisch und durch Herrschaft gekennzeichnet. 

Die herkömmliche Forschung reproduziert implizit patriarchale Dominanz-Strukturen. Eine Lösung aus diesem Dilemma gibt es nicht, es sei denn, wir heben tendenziell die Subjekt / Objekt-Polarität auf, und zwar, indem wir durch erfahrungsorientierte bzw. diskurskritische Forschung die Subjektivität der Forscherin als notwendigen Teil des eigenen Erkenntnisprozesses einzubeziehen lernen. 

Die eigene Subjektivität wird nicht als Störfaktor angesehen bzw. tabuisiert, sondern sie wird als ein Mittel betrachtet und eingesetzt, um die unbewussten Dimensionen der eigenen kulturspezifischen und institutionellen Einflüsse transparent zu machen. Es ist die Reflexion der eigenen Irritationen über das So-Sein der Anderen, die Bebilderung und Deutung des vermeintlich Anderen, die Wirklichkeit neu konstituiert.

Forschen bedeutet teilen und mildert das Bedrohliche unserer Verschiedenheit, sagt Audre Lorde. In diesem Bild wird deutlich, dass das Bemühen mit-zu-teilen oder zu verstehen nicht nur die eigene Existenz bereichert, sondern Verbindendes schafft. 

In diesem Sinne ist Forschen weniger Aneignung als das gemeinsame Herstellen von Wirklichkeit, in der die Beteiligten sich ver-Gegenwart-igen. Es ist die Prioritätensetzung zugunsten der Gegenwart, die das gemeinsame Arbeiten an Bedeutungen von Vergangenem und Zukünftigem impliziert. Das Vergangene wird im Kontext der Gegenwart neu interpretiert, das Zukünftige erhält im Gegenwärtigen ein menschliches Gesicht.

Im Kontext dieser soziologischen Reflexionen wird bereits Ende des ersten Semesters darauf hingewiesen, dass sich die Frauen über eigene Fragestellungen Gedanken machen sollen, um davon ausgehend Forscherinnengruppen nach eigenen thematischen Schwerpunkten zu bilden. 

Das persönliche Sich-In-Beziehung-Setzen und seine eigenen Interessen zu artikulieren, die über Forschungsprozesse auch die eigene Person zum Gegenstand von Reflexion und Seminaröffentlichkeit macht, ruft bei vielen Studentinnen zunächst große Beunruhigung hervor. 

Kaum hätte man sich an eine bestimmte Seminarmethodik gewöhnt, wolle man sich nicht schon wieder mit den Unsicherheiten der Selbstorganisierung überfordern.

Es ist jedoch gerade dieser Moment, in dem die von Gottfried Hausmann mit "Dramaturgie des Unterrichts" bezeichnete Situation potentiell entstehen kann. 

Einerseits ist eine gewisse theoretische Grundlage soziologisch-theoretischer Fragestellungen entwickelt worden, andererseits begegnen sich nunmehr die StudentInnen interessengeleitet, mit ihren persönlichen Möglichkeiten und unterschiedlichen Biographien, Fähigkeiten und Perspektiven. 

Die Universität und das Seminar werden zu ihrem Raum, sie geben die Zeit vor, in der sie die notwendige Muße zum forschenden Lernen finden. Darüber hinaus erfahren die Frauen in den Klein- und Großgruppenprozessen, dass das Lernen als eine Auseinandersetzung mit dem sozialen Organismus als Lebewesen zu verstehen ist.

Diese Situation ist im klassischen Universitätsbetrieb ungewohnt, sie verunsichert und setzt angesichts der großen Teilnehmerinnenzahl und der Vielfältigkeit der Themen eine große Toleranz der Einzelnen voraus, die jedoch vielfach durch die Freude des gemeinsamen Handelns sowie die soziale Bezogenheit der Handelnden belohnt wird. 

Die Frauen er-Macht-igen sich ihres Seminars und überwinden hierdurch die in traditionellen Seminaren immer wieder sich durchsetzenden Hierarchisierungen. Die Freude an der Produktivität des Umgangs mit der Macht ist konstitutiv für die Fortentwicklung des Seminars. 

Hier erst wird manchen Studentinnen der Handlungsbegriff deutlich, der zu Beginn des Seminars anhand von Audre Lorde´s Text "Vom Nutzen der Erotik" diskutiert wurde.

"Erotik kommt für mich auf verschiedene Weise zur Wirkung : zunächst einmal durch die Macht, die durch intensives Teilen mit einem anderen Menschen entsteht. 

Das Teilen von Freude - physischer, emotionaler oder intellektueller Freude - bildet eine Brücke zwischen uns und kann auch zum Verständnis von vielem führen, was wir nicht teilen. Sie mildert außerdem das Bedrohliche unserer Verschiedenheit. 

Eine andere wichtige Funktion erotischen Bezogenseins ist die offene, furchtlose Betonung meiner Fähigkeit zur Freude." (Lorde 1991, S. 190)

Das ganze zweite Semester findet nunmehr mit einer wechselnden Arbeitsweise zwischen Methodenlehre und Kleingruppenarbeit an den Forschungsthemen statt.

Parallel hierzu werden die Studentinnen in unterschiedliche Forschungsmethoden und -ansätze eingeführt, um bei der Herausbildung ihrer Forscherinnenfragen die jeweils angemessene Forscherinnenmethode zu entwickeln. 

In diesem Prozeß der Annäherung von Forschungsziel und -methode werden die Studentinnen erneut vielfach von Unsicherheit ergriffen und fordern systematische Methodenlehre, möchten Textarbeit an unterschiedlichen wissenschaftlich begründeten Vorgehensweisen machen und werden manchmal ungeduldig angesichts der vielfältigen Überlegungen, die zur Herausarbeitung eines möglichen Forschungs-settings gemacht werden können.

Diese Phase des Seminars stellt für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar. Schon manche hat sich jetzt in Gedanken verabschiedet, weil sie mehr Struktur und Stringenz forderte ... aber diejenige Studentin, die dann nach Wochen des Suchens am Ende einer Seminarstunde herausplatzte, "Jetzt wird mir klar, weshalb wir nicht zu Anfang Trockenübung in Methodenlehre gemacht haben", diese Studentin half allen weiteren darüber nachzudenken, welch große Bedeutung gerade dem immer neuen Erfassen des Spannungsverhältnisses von eigener Fragestellung zur Subjektivität der Forscherin, der politischen Relevanz der Forschung sowie der Verantwortung gegenüber den Erforschten liegt. 

Methoden sind per se nur Techniken, sie sind Hilfsmittel, die in den Händen, Köpfen und im Herzen von Forscherinnen Erkenntnisse ermöglichen können, Erkenntnisse, die sich eben nicht durch ihre Überprüfbarkeit begründen. 

Methoden in dieser Weise neu zu denken, impliziert Herrschaftskritik und Veränderung. Diese und die dann folgenden Seminarstunden waren sicherlich Sternstunden in der Forschungsbiographie vieler Studentinnen.

Zu Beginn des 3. Semesters, das ganz der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Interviewmethoden und der Arbeit in Kleingruppen gewidmet ist, werden die Gruppen durch eine niederländische Kollegin, die Spezialistin in der Methode des Co-counceling ist, in diese Gruppenberatungsmethode von Carl Rogers eingeführt. 

Hierdurch lernen die Gruppen, sich im gegenseitigen Prozeß selbstverantwortlich zu unterstützen. Die Frauen stellen sich gegenseitig ihre Forschungsthemen und -methoden vor und lernen hierbei, einander empathisch zuzuhören und anschließend zu beraten. 

Durch die Praxis des Co-Counceling erfahren die Studentinnen, wie wichtig es ist, eigene Sichtweisen durch diejenigen anderer Frauen reflektiert zu bekommen, sie lernen mit Differenz umzugehen und sie als Chance zu begreifen. Sie erfahren, dass Forschung ein Prozeß intersubjektiver Wahrnehmung mit höchst theoretischen Implikationen ist. 

Dank dieses praktischen Umgangs mit der Counceling-Methode verstehen die Seminarteilnehmerinnen nach und nach, dass Forschen nicht nur die Beantwortung eigener Fragen beinhaltet, sondern immer auch die Bemühung um die Annäherung an die Erforschten, die Korrektur der Methodik und kritische Reflexion des bisher Wahrgenommenen impliziert. 

Nicht Hypothesenbildung beherrscht den Forschungsprozess, sondern das Denken von Zusammenhängen und deren Kontextualisierung.

Viele Gruppen des Seminars haben sich inzwischen für die Erforschung von Biographien von Frauen entschieden, so dass ein großer Teil der Selbstreflexion die Hinterfragung des eigenen Bezugs zur Fragestellung ausmacht. 

Man könnte bildlich eine Stecknadel fallen hören, so intensiv sind oftmals die Zuhörprozesse in den Counceling-Sitzungen. 

Die Tatsache, dass alle Teilnehmerinnen in ihren Gruppen mit ähnlichen Fragen des Verstehens und der Verständigung befasst sind, bewirkt, dass nach und nach spürbar wird, welches ungeahnte Universum der soziale Organismus ist und welche schöpferische Kraft die menschliche Kommunikation eröffnet.

Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, wie es über die Verarbeitung von Erfahrungen zu Erinnerungen wird, um sich dann in kollektiven geschichtlichen Prozessen weiter zu verändern, wird anschließend mit der Hilfe des soziologischen Werkes von Maurice Halbwachs über "Das Gedächtnis" studiert. 

Es wird deutlich, dass eine Biographie zwar Ausdruck von Wirklichkeit Einzelner, aber zugleich auch Inbegriff der Bewertung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist, in der diese Erfahrungen gemacht wurden. 

Die Aktualität strukturiert rückwirkend Vergangenheit neu. Was, in welchem Moment, welche Bedeutung erhält, sagt etwas über die Komplexität der Herrschaftsverhältnisse und ihrer sich wandelnden Bedeutungsfelder aus.

"Die Konzeption der Biographie als soziales Gebilde, das sowohl soziale Wirklichkeit als auch Erfahrungs- und Erlebniswelten der Subjekte konstituiert und das in dem dialektischen Verhältnis von lebens­geschichtlichen Erlebnissen und Erfahrungen und gesellschaftlich angebotenen Mustern sich ständig neu affirmiert und transformiert, bietet die Chance, den Antworten auf die Grundfragen der Soziologie, dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, näher zu kommen. 

In der "biographischen Selbstrepräsentation" finden wir nicht nur Zugang zum lebensgeschichtlichen Prozeß der Internalisierung der sozialen Welt im Laufe der Sozialisation, sondern auch zur Einordnung der biographischen Erfahrung in den Wissensvorrat und damit zur Konstitution von Erfahrungsmustern, die zur gegenwärtigen und zukünftigen Orientierung in der Sozialwelt dienen." (Rosenthal 1993, S. 12/13)

Inzwischen haben sich viele Frauen entschieden, in ihren Gruppen mit der narrativen Interview-Methode zu forschen. Es erscheint ihnen besonders wichtig, die Sprache und die Bilder zu dokumentieren, in der Frauen ihre Erfahrungen darstellen. 

Im Aufspüren der Diskrepanz zur erlebten Lebensgeschichte, die durch Brüche in der Erzählstruktur, durch Auslassungen und Veränderungen in der Syntax deutlich werden, können in der Nachfragephase gemeinsam mit der Erforschten innere Dialoge erzeugt werden, die potentiell gesellschaftliche Gewalterfahrungen integrieren und helfen können, erlebtes Leid zu verarbeiten. 

So geben die Forscherinnen­gruppen nicht nur einen Rahmen ab, gesellschaftliche Themen zu untersuchen, sie schaffen auch den geschützten Raum, eigene Probleme, Scham und Schuldgefühle im Spiegel der Lebensgeschichte der vermeintlich Anderen zu thematisieren. 

Der praktische Umgang mit der Forschungsmethode der narrativen Befragung kann deshalb dazu beitragen, dass Frauen sich ihrer jeweiligen Rolle und gesellschaftlichen Situation bewusst werden.

Hinzu kommt, dass Biographiearbeit authentische Handlungsabläufe in der Gegenwart dokumentiert. Frauen tragen hierdurch aktiv zur Gestaltung von Gegenwart bei. 

Diese Erkenntnis führt in vielen Kleingruppen noch einmal zu einer Präzisierung der eigenen Fragestellung und der Verantwortlichkeit gegenüber den Erforschten. Ansätze der Handlungsforschung der frühen Frauenbewegung der 70er Jahre werden aus dieser Perspektive noch einmal kritisch überdacht. 

Der Opferdiskurs von Frauen aus jener Zeit wird durch die Subjektwerdung der Frauen im Forschungsprozess und die Übernahme von Verantwortung in Ansätzen überwunden.

Im 4. Abschlusssemester werden schließlich die Interviews durchgeführt und transkribiert. Wir machen uns viele Gedanken über die Transkriptionsform, die dem Inhalt und der Persönlichkeit der Befragten am nächsten kommen. 

Parallel hierzu werden Methoden der Evaluierung von Gruppenprozessen nach Armando Bauleo gelernt, weil es uns auch wichtig ist, die Biographieforschung für das sozialpädagogische Arbeitsfeld zu übertragen. 

Diese eher theoretische Arbeit wird immer wieder unterbrochen von Berichten aus den Arbeitsgruppen, weil hier jetzt so nach und nach die Interviewtexte entstehen, die eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Interpretations­methoden erforderlich macht, wie beispielsweise der Text- und Diskursanalyse von Siegfried Jaeger und der tiefenhermeneutische Textanalyse nach Gabriele Rosenthal

Auf dem Hintergrund der Gruppenprozesse in den verschiedenen Forscherinnengruppen werden derartige Interpretationsversuche zu existentiellen Auseinandersetzungen, die die eigenen Theorie-Praxis-Reflexionen häufig unter ganz anderem Licht erscheinen lassen. 

Auch hierbei wird wieder deutlich, wie unterschiedlich Verstehen und Interpretieren im Kontext unterschiedlicher Vorerfahrungen und biographisch-bedingter Tabus sein können.

Nach diesem Semester werden die Gruppen ihrem eigenen Schicksal überlassen, d.h. die Intensität und Dynamik, mit der die Forschungen mit den Erforschten rückgekoppelt werden, oder eine Kommunikation mit einer größeren Öffentlichkeit über eine schriftliche Fixierung der Prozesse stattfindet, hängt von den Gruppenmitgliedern ab. 

Der verantwortliche Umgang mit den Informationen bzw. dem Vertrauen der Interviewten ist eine ganz zentrale Problematik. Die Form der Material-aufbereitung und Veröffentlichung beschäftigt zunehmend die Forscherinnen. 

Vieles, was in den ersten eher methodisch-orientierten Seminarsemestern diskutiert wurde, und oftmals als langweilig und formalistisch angesehen wurde, bekommt jetzt eine eminent ethisch-politische Bedeutung. 

Kein Wunder also, wenn dieses universitäre Seminar, das nach 4 Semestern seinen formalen Abschluss findet, in anderer Weise, beispielsweise in Arbeitsgruppen, in Diplomarbeiten oder Methodenfortbildungen außerhalb der Universität seine Fortsetzung findet.

... oder auch nicht, und es bleibt nur die Erinnerung an ein anderes Seminar, indem es Muße und die Suche Aller gab, das die Antizipation eines Gesamtkunstwerkes erfahrbar machte. 

Für mich persönlich bedeutete dieses Seminar jedenfalls eine existentielle Auseinandersetzung mit immer anderen studentischen Generationen, ihren Themen, Suchen und kritischen Auseinandersetzungen mit der Institution Universität. 

Die "Kultur des Schweigens" (Freire) universitärer Lehre, die Einbahnstraße in der Massen­universität haben wir gemeinsam in dialogische Prozesse verwandelt, in der Erkenntnisfreude, soziale Bezogenheit und Kreativität zur Grunderfahrung wurde. 

Wir haben gemeinsam gelernt, dass forschen nicht erobern ist, sondern ein Teilen mit anderen sein kann, und dass durch den Forschungs­prozess nichts mehr so ist, wie es war.

Aus diesem bereits mit 3 unterschiedlichen studentischen Generationen erfahrenen Prozess schöpfe ich nunmehr auch den Optimismus, mich über die Grenzen des eigenen Fachgebietes hinaus in den Austausch mit KollegInnen anderer Fachbereiche zu begeben und an die eingangs formulierten verantwortungsethischen Fragen einer zukunftsorientierten Wissenschafts­kultur anzuknüpfen. 

Ich gebe diesem Abschlusskapitel den Titel "Trialog", weil ich denke, dass das tiefe Schweigen zwischen Institutionen und Disziplinen nicht allein über eine dialogische Kommunikation verändert werden kann, sondern es hierzu einer `Dritten Instanz´ bedarf.

Statt Selbstbezug - mehr Weltbezug: Trialog

Um die Verfangenheit in den universitären Strukturen zu erkennen und den so notwendigen Weltbezug herzustellen, ist zunächst die Auseinandersetzung mit dem eigenen fachbezogenen Territorial- und Konkurrenzdenken eine Voraussetzung. 

Nur wenn wir beginnen, vom Anderen zu lernen, mit ihm zu sprechen und die implizierten Herrschaftsmechanismen zu durchschauen, können wir das tiefe Schweigen um uns überwinden. 

Offensichtlich entspricht die „Kultur des Schweigens“ zwischen den Institutionen und Disziplinen einer Praxis des „laissez Faire“, in deren Folge das Selbstbild jedes Fachbereichs möglichst ungeschoren bleiben soll. 

Ein Rühren an diesen Verhältnissen kommt fast einem Tabubruch gleich bzw. wird als Störung abgewehrt. So erging es jedenfalls mir, als ich in den vergangenen Monaten dem Schweigen auf die Spur kommen wollte.

Es erschien mir geradezu paradox, dass an einem Ort der öffentlichen Lehre ein so abgrundtiefes Schweigen herrscht. Die ProfessorInnen, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und TutorInnen, wir alle haben doch `sprechende´ Berufe. Wir reden in den Seminaren, reden in den Sprechstunden, reden beim Prüfen und schreiben sogar, wenn wir meinen, wir können mit unserem Reden nicht genügend Menschen erreichen. 

Wie ist es folglich erklärbar, dass es so selten zu Gesprächen untereinander kommt und fast nie zum Austausch zwischen einem Maschinenbauer und einer GeschichtsdidaktikerIn, einer BiologIn und einem Wirtschaftswissenschaftler, etc.? 

Ich habe mit vielen StudentInnen und KollegInnen darüber gesprochen, sie oftmals geradezu `gelöchert´, weil ich mehr von ihrer Liebe zu den Erkenntnismöglichkeiten ihres Fachgebietes und der Entdeckungen in der Zusammenarbeit mit StudentInnen verstehen wollte. 

Während ich bei den StudentInnen häufig nur ein müdes Achselzucken hervorrief, löste ich bei vielen KollegInnen geradezu das Gegenteil aus. Ich hatte offensichtlich mit meinem Forschen an eine tiefe Leere in ihnen gerührt, an die sie bitte nicht erinnert werden wollten. 

Wie viel leichter und angenehmer erschien es deshalb meinen GesprächstpartnerInnen, über die eigene Überbelastung, die Geldkürzungen oder die schlechte Ausstattung zu sprechen.

Ähnlich erging es mir, wenn ich sie auf die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen ansprach. Es sei der Konkurrenzdruck, die sprachlichen Schwierigkeiten, die wenige Unterstützung für innovative Vorstöße, die die Motivation lähmten ... 

Wie oft bin ich allein in diesen Wochen mit den klassischen Klischees von "Soziologenchinesisch" oder "Blasiertheit der Techniker/Naturwissenschaftler" konfrontiert worden, ohne dass Ansätze zur Überwindung dieser Vorurteile deutlich gemacht worden wären. 

Aus diesen Beobachtungen ziehe ich die Schlussfolgerungen, dass das Schweigen sehr tief mit dem Verstricktsein in der eigenen Profession begründet ist. So wie ich eingangs formuliert habe, hat die Kultur des Schweigens an der Universität alle Beteiligten in die Dynamik der jeweiligen Fachgebiete und -bereiche eingebunden, so dass Kompetenzen für vernetzendes Denken und Handeln und selbstreflexive Prozesse verkümmert sind. 

Die hohe Professionalität, die mit Leistungsdruck und Spezialisierung einhergeht, hat eine Beschränkung der Interdisziplinarität und sozialpolitischer Bezogenheit zur Folge, und führt bereits heute zu wachsender gesellschaftlichen Marginalisierung.

Dieses Schweigen an der Technischen Universität zwischen den sogenannten Kernbereichen der Ingenieurs- und Naturwissenschaften und den "Anderen", also implizit den `Randständigen´, den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, hat darüber hinaus auch mit einer unterschiedlichen Arbeitsmethodik zu tun. 

Erstere haben mit ihrer analytisch-deduktiven Arbeitsweise einen anderen Gegenstandsbezug als die Gesellschaftswissenschaftler, deren Arbeitsbezug stark von der Wechsel­wirkung von Mensch und Technik geprägt ist und deshalb weniger zu einer naturwissenschaftlich eindeutigen Arbeitsweise neigen kann. 

Doch diese unterschiedliche Herangehensweise müsste nicht per se mit einer gegenseitigen Abwertung verbunden sein. 

Die Nicht-Anerkennung liegt meiner Meinung nach viel weniger in methodologischen Differenzen begründet, als in dem unterschiedlichen Eingebundensein in das sich durchsetzende Globalisierungsmodell und dem hiermit einhergehenden Verständnis von Erfolg.

Während von den einen bereits der Machtzuwachs des technologischen Fortschritts auf dem Globus als Erfolg bewertet wurde und wird, ist für die Anderen die Perspektive der sozialen Verträglichkeit und der ökologischen Folgekosten relevanter. 

Beide Positionen stehen sich seit der Ausbreitung des Fortschritts-orientierten Technologiemodells unversöhnlich gegenüber, wenngleich erstere mehr Macht und Ausstrahlungskraft hat. 

Das Unsichtbar­machen und Verschweigen von Fehlentwicklungen sind eine Folge des schwelenden Konfliktes und haben zu einer starken Ideologisierung und Verhärtung der Positionen geführt. 

So hatten in den Medienschlachten die Stimmen der Betroffenen in den Ländern des Südens lange Zeit gar kein Gewicht. Hier ist es den Vereinten Nationen und Menschenrechts- bzw. Umweltorganisationen zu verdanken, dass zum Beispiel den Bewohnern der Regenwaldgebiete in Brasilien, wo heute die größte Eisenerzverhüttung mit Holzkohle stattfindet und den Vertriebenen der riesigen Landstriche, wo heute mittels großer Staudammprojekte die Bewässerungslandwirtschaft für den Export den Boden unwiderbringlich zerstört, eine bemerkenswerte öffentliche Beachtung gegeben wurde. 

Die Minderheiten hatten zwar bei den internationalen Verhandlungen kein ökonomisches Gewicht ... aber sie machen sehr deutlich, dass die Logik des Fortschritts nicht auf Nachhaltigkeit, sondern auf kurzfristigen Profit orientiert ist. 

Es sind diese vielen kleinen Vorstöße aus Betroffeneninitiativen der ganzen Welt, die mehr Nachdenklichkeit erreicht haben, als viele Konferenzen mit ihrem diplomatisch-sterilen Habitus. All diesen Bewegungen und Strömungen von Minoritäten ist gemeinsam, dass sie ihre Unterschiedlichkeit nicht platt walzen lassen, ihnen die Not in den eigenen Leib eingeschrieben ist und sie eine Sprache sprechen, die die Zusammenhänge nicht partikularisiert oder exotisiert.

Die Trialoge mit ihnen haben in der internationalen Debatte deutlich gemacht, dass mit der Globalisierung nicht nur eine weltweite Vereinheitlichung von Standards einhergeht, sondern dass hiermit stets aufs intimste die Zuordnung von Wertigkeit verknüpft ist. 

Damit steht die Globalisierung in der Tradition des Kolonialismus, der gleichfalls global agierte, die Menschen kulturalisierte und exotisierte, dies allerdings verbal im Namen der Zivilisierung unterentwickelter Völker machte. 

Heute sind die Ausgrenzungsprozesse mittels Globalisierung ebenso gnadenlos, die Welt wird aufgeteilt in jene Sektoren, die dazugehören und jene, die ausgestoßen werden, weil sie nicht mithalten können. 

Zwar hat diese Hierarchisierung und Ausgrenzung per se nichts mit Technologie zu tun, aber sie ist eine implizite Folge, denn mit jeder neuen Technologie wird die neue Arbeitsteilung eine Rückwirkung auf das Geschlechterverhältnis haben, der Zeittakt der Maschinen verändert das Zusammenleben der Menschen, der Umgang mit Ressourcen wird der Effizienzrechnung der Fabrik untergeordnet und benachteiligt langfristig die arme Wohnbevölkerung der Region. 

Mit dem Technologietransfer geht eine Übertragung von Lebens- und Arbeitsweisen aus dem reichen Norden einher, die erfahrungsgemäß auf authochtone Strukturen stark rückwirken. 

Im Trialog analysiert erweist sich das Globalisierungsmodell als eurozentrisch, einseitig ökonomisch orientiert.Politische, universelle Standards wie Menschenrechte und Nachhaltigkeit finden kaum eine Berücksichtigung. 

Über diese Zusammenhänge im Dreiecksverhältnis von Trialogen die Unterschiedlichkeit der Perspektiven wahrzunehmen, ist äußerst fruchtbar und wäre auch für die universitäre Auseinandersetzung notwendig. Erst in der komplexen Wechselbeziehung aller Beteiligten neu betrachtet, werden scheinbar neutrale Maßnahmen hoch brisant. 

Seit der Aufklärung gab es einen Grundkonsens der universellen Menschenrechtsnorm, der heute in Gefahr ist, dem Prozeß der Globalisierung geopfert zu werden, d.h. es ist zunehmend eine Funktion der Globalisierung, wer Mensch erster, zweiter oder dritter Klasse ist.

Der Trialog ist ein Modell, aus der Linearität der binären Konstruktion auszuscheren und uns auf die eigenen blinden Flecken aufmerksam zu machen, beispielsweise alles in Hierarchien zu denken, uns selber stets auf die sichere Seite zu schlagen, um aus der Position der Überlegenheit stets die Wahlmöglichkeit zu haben. 

Hierdurch bleiben wir jedoch im System des Oben und Unten, des Tüchtigen und Untüchtigen. Nicht Dialog, sondern Durchsetzung ist die Devise. Hierdurch wird ausgeblendet, was aber eine mögliche Erfahrung im Trialog sein kann: Dass Teilen auch Mitteilen und damit eine Bereicherung sein kann. 

In Ansätzen haben wir dieses Glück in Lehr-Lern-Prozessen alle schon erfahren, es sollte jedoch zu einem grenzüberschreitenden Gegenstand von trialogischer Analyse werden. 

Die Bewusstwerdung der subjektiven Anteile der eigenen Forschungen, die bestgehüteten Tabus unseres dominanten Wissenschaftsverständnisses, sie würde zentral durch Trialoge thematisiert und in ihrer positiven wie negativen Kraft für die Arbeit genutzt werden.

Im Trialog wird nicht zwischen der einen und der anderen Position vermittelt, denn beide beziehen sich auf eine `Dritte Instanz´. Durch diese werden die "Gegner" aufeinander bezogen und erhalten so andere Möglichkeiten, eigene Grenzen oder Vorurteile zu überschreiten. 

So kann ich mir beispielsweise vorstellen, dass der Kompetenzerwerb hinsichtlich der Wirkungsweise bestimmter Technologien konstitutiv für die weitere Forschung und mögliche Neubewertung des Technologieeinsatzes werden kann. 

Langzeitstudien von Entwicklungsprojekten oder die Nachbetreuung von Technologietransfers sind hierfür plastische Beispiele, denn was hilft noch die beste Soforthilfe, wenn sie langfristig die Eigeninitiative bzw. die Selbsthilfe der Bevölkerung zerstört.

Dadurch, dass im Trialog drei Gruppierungen miteinander in Kontakt gebracht werden, können tendenziell Freund / Feind-Konstellationen neu strukturiert werden und neue Beziehungen, die komplexere Verbindungen und Ambivalenzen zulassen, entstehen. 

In einer Zeit, in der der Sieg des einen Gesellschaftsmodells die Vielfalt negiert und an seiner eigenen Siegesgewissheit im Strudel eigener Beschleunigung droht verschlungen zu werden, sind Langsamkeit, Uneindeutigkeit und Ambivalenzen schon ein Neuanfang. 

Die Möglichkeit, über die Perspektive des Anderen eigene Positionen reflektieren zu können, sind eine Chance, die wir nutzen sollten.

Die Technische Universität hat, wie wir jetzt anlässlich der 50-Jahr-Feier und der Aktionen gegen die Sparmaßnahmen sehen konnten, ein buntes, kreatives Potential, das um Gottes Willen nicht geordnet werden sollte, aber doch durch Trialoge zu mehr gegenseitiger Anerkennung und damit zu mehr Weltbezug kommen könnte. 

Wir müssen aus der Selbstbezogenheit und dem Selbstmitleid heraus. Wenn die Universität ihrem Anspruch nach universeller Gültigkeit gerecht werden will, dann darf sie sich nicht auf sich selber zurückziehen und die Folgen ihres Tuns außer acht lassen. 

Bei der Verteidigung universeller Grundrechte gegenüber den Interessen- und Profit-geleiteten Normen der Globalisierung, bei der Verteidigung der Differenz als zentrale Kategorie der Menschenrechte, bei dieser Herausforderung hat die universitäre Bildung eine zentrale Stellung. Bildung geht nicht nur uns selber an, sondern auch unseren `fernsten Nächsten´. Deshalb müssen wir das Schweigen brechen und uns im Trialog üben.

Literatur

  1. Freire, Paulo: Pädagogik der Unterdrückten. Reinbeck 1980

  2. Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M. 1983

  3. Beuys, Joseph: Reden über das eigene Land - Deutschland 3, München 1985

  4. Jäger, Siegfried/Link, Jürgen (Hg.): Die vierte Gewalt. Rassismus und die Medien. Duisburg 1993

  5. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/M. 1986

  6. Illich, Ivan: Warum wir die Schule abschaffen müssen. In: „entschulung der gesellschaft. Entwurf eines demokratischen Bildungssystems. Hamburg 1973

  7. Habermas, Jürgen: Die Idee der Universität - Lernprozesse in: Zeitschrift für Pädagogik, 32. Jg. 1986, Heft Nr. 5

  8. Duerr, Hans Peter: Traumzeit. Die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation. Frankfurt/M. 1978

  9. Hausmann, Gottfried: Didaktik als Dramaturgie des Unterrichts. Heidelberg 1959

  10. Maturana, Humberto: Erkennen. Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Braunschweig/Wiesbanden 1985

  11. Lorde, Audre: Vom Nutzen der Erotik. In: Rich, Adrienne/Lorde, Audre. Sinnlichkeit und Macht. Berlin 1983

  12. Rosenthal, Gabriele: Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Frankfurt/M. 1995

Prof. Dr. Ilse Schimpf-Herken 

damals TU Berlin Franklinstr. 28/29 in 10587 Berlin

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